Jagten
Thomas Vinterberg, Dänemark, 2012o
Lucas ist frisch geschieden und gerade dabei, sein Leben neu zu ordnen. Es scheint alles auf gutem Wege zu sein: Sein Teenagersohn Marcus will wieder bei ihm leben, und in der hübschen Nadja findet er eine neue Freundin. Auch sein neuer Job als Kindergärtner macht ihm Spass, mit den Kindern versteht er sich bestens. Doch eines Tages erzählt eine Fünfjährige, dass ihr Lucas seinen Penis gezeigt hätte. Obschon offensichtlich ist, dass das Mädchen phantasiert, ist von dem Moment an nichts mehr, wie es war.
Der Däne Thomas Vinterberg ist seit seinem fulminanten Erstling Festen von 1998 ein Fixstern des internationalen Autorenkinos und hat einigen Anteil am phänomenalen Erfolg der Arthousefilme und Serien dieses Landes, das ein ähnlich exotische Sprache spricht wie die Deutschschweiz und keine sechs Millionen Einwohner zählt. Mit Jagten aber tat sich die Filmkritik eher schwer: Der Film renne offene Türen ein, zudem sei schwer begreiflich, weshalb sich der Protagonist gegen die Lügengeschichte, die ihn zum Kinderschänder stempelt, nicht entschiedener zur Wehr setze - zumal Vinterberg den Helden nicht mit einem Softie oder verkappten Pädophilen, sondern mit Mads Mikkelsen besetzt hat, einem Typen, den so schnell nichts umhaut. Gerade das ist aber die Pointe dieses starken Films, der einem fast unweigerlich gegen den Strich geht. Wie widersinnig die Anschuldigung auch ist: Sie tut ihre Wirkung und vergiftet nach und nach sämtliche Beziehungen des Protagonisten. Jagten ist ein Film über die unheimliche Macht des Rufmords unter den verschärften Bedingungen der Political Correctness. Er zeigt, wie die Lüge kleben bleibt, weil das Abstreiten immer als Zeichen eines schlechten Gewissens gedeutet werden kann. Er handelt von der diabolischen Logik der falschen Anschuldigung, die den Neidern, Nachbetern und Nachäffern gelegen kommt. Unangenehm, ja, wie uns da unsere Lemmingreflexe vor Augen geführt werde. Und ungemein treffend.
Andreas FurlerVinterberg wurde 1998 berühmt mit der Missbrauchsgeschichte «Festen». «Jagten» ist die Antithese dazu. Das Drehbuch krankt an seiner Hauruck-Dramaturgie: Der Mann wehrt sich nicht, und keine Sekunde zweifeln die selbstgerechten Dorfbewohner am Wahrheitsgehalt der Anschuldigung. Die Rolle dieses Wehrlosen von einem Alphatier wie Mikkelsen spielen zu lassen, ist hingegen ein grossartiger Einfall. Er macht den Film sehenswert. In Cannes erhielt Mikkelsen den Preis für den besten Darsteller.
Thomas BodmerRécompensé par le Prix d'interprétation au dernier Festival de Cannes, Mads Mikkelsen, qui incarne Lucas, est saisissant de sincérité. Détail qui a son importance : l'atmosphère, grave, est régulièrement allégée par quelques touches d'humour noir.
Anna TopaloffAvec La Chasse, le danois Thomas Vinterberg signe un drame psychologique en forme de thriller haletant, servi par la charisme du géant Mads Mikkelsen.
Jérôme VermelinGalerieo
Mads Mikkelsen spielt einen Kindergärtner, der des Kindsmissbrauchs beschuldigt wird.
Stellen Sie sich vor, ein kleines Mädchen deutet an, von Ihnen sexuell missbraucht worden zu sein. Und obschon Sie dem Kind nicht das Geringste angetan haben, halten Ihre besten Freunde Sie plötzlich für einen Kinderschänder.
Genau dies widerfährt Lucas, der Hauptfigur von «Jagten», dem neuen Werk des dänischen Regisseurs Thomas Vinterberg. Dieser wurde 1998 schlagartig berühmt mit «Festen», einem Film über ein Familienfest, in dessen Verlauf sich herausstellt, dass der gefeierte Patriarch des Missbrauchs schuldig ist.
1999 machte ein Kinderpsychologe Vinterberg darauf aufmerksam, dass nicht nur Kinder Opfer sein können, sondern auch fälschlicherweise beschuldigte Erwachsene. Nach langem Gären hat Vinterberg jetzt die Antithese zu «Festen» gedreht: Lucas, um die vierzig, war Lehrer, doch seit seiner Scheidung arbeitet er in einem Kindergarten und leidet darunter, dass er seinen Sohn nur alle zwei Wochen sehen darf.
Besonders nett ist er zu Klara, der Tochter seines besten Freundes, der sich oft mit seiner Frau streitet, was die Kleine sehr verstört. Dies wird dadurch noch gesteigert, dass ein Junge Klara Pornobilder zeigt. Um Lucas zu beweisen, wie gern sie ihn hat, steckt sie ihm ein Geschenk zu und küsst ihn auf den Mund. Als Lucas ihr erklärt, dass das keine gute Idee sei, fühlt sie sich abgewiesen und erzählt der Kindergartenleiterin eine Lügengeschichte über Lucas.
Das Drehbuch von «Jagten» krankt an seiner Hauruck-Dramaturgie: Warum reagiert Lucas auf den Vorwurf des Kindsmissbrauchs nur mit dem Wort «Scheisse», statt die Sache richtigzustellen? Und warum zweifeln Klaras Vater und alle anderen Dorfbewohner keine Sekunde daran, dass die Kleine die Wahrheit sagt, und beginnen gleich eine Hexenjagd gegen Lucas?
Grossartig war hingegen Vinterbergs Einfall, Lucas mit Mads Mikkelsen zu besetzen. Der ehemalige Tänzer wurde wiederholt zum «sexiest man alive» gekürt und verkörperte den Bösewicht im Bond-Film «Casino Royale». In «Jagten» dagegen spielt er einen Mann, der sich von der Selbstgerechtigkeit seiner Mitmenschen völlig fertigmachen lässt. Das baut in uns Zuschauern eine Spannung auf, die kaum auszuhalten ist. Und die macht «Jagten» sehenswert.