Reading Lolita in Tehran
Eran Riklis, Israel, Italien, 2024o
Teheran in den mittleren 19990er Jahren: Als die islamische Sittenpolizei willkürliche Razzien durchführt und Fundamentalisten die Universitäten in Beschlag nehmen, versammelt die ehemalige Literaturprofessorin Azar heimlich sechs ihrer engagiertesten Studentinnen, um verbotene westliche Klassiker zu lesen. Wie die Heldinnen von Nabokov, F. Scott Fitzgerald, Henry James oder Jane Austen wagen die Frauen in Nafisis Wohnzimmer zu träumen, zu hoffen und zu lieben.
Manchmal möchte man auch einen mittelmässigen Film nicht missen, und sei es nur, weil er mit der plastischen Unmittelbarkeit des Kinos vor Augen führt, was man im Prinzip seit Jahr und Tag weiss. Es geht um die Unterdrückung der Frauen im Iran, wie sie die exilierte iranische Literaturdozentin Asa Nafisi in ihrem 2003 publizierten Erinnerungsbuch Reading Lolita in Tehran beschrieben hat, das in 32 Sprachen übersetzt wurde. Wie das Buch beginnt der Film 1979 nach dem Sturz des Schahs mit der hoffnungsvollen Rückkehr Nafisis und ihres Manns in ihr Heimatland und führt die Heldin schnell zur ernüchternden Einsicht, dass sich englischsprachige Literatur in der islamischen Republik nicht mehr an der Uni unterrichten lässt, weil sie nur noch als Ausdruck westlicher Dekadenz gilt und pseudo-studentische Revolutionswächter jede Diskussion darüber abwürgen. Mit sechs Studentinnen zieht Nafisi deshalb Lektüreseminare zu «Lolita», «The Great Gatsby» & Co. in ihrer Wohnung auf und diskutiert die Klassiker als Hort der geistigen Freiheit. Dass diese Debatten im Vergleich zum Buch rudimentär ausfallen, versteht sich von selbst, allerdings übertreibts der Film mit der Popularisierung: Die Bücher sind reine Stichwortgeber, Nafisis Jüngerinnen deklamieren ähnlich thesenhaft darüber wie ihre bornierten männlichen Gegenspieler und gewinnen dabei wenig Profil. Lebensklug, schauspielerisch souverän (und so schön wie eh und je) ist immerhin Golshifteh Farahani als Nafisi, berührend das Ringen ihrer Figur mit dem Gedanken an ein erneutes Exil. Am stärksten aber sind die Passagen über die Terrorisierung der Frauen. Letztere folgt konsequent der totalitären Steigerung von der Gängelung über die Einschüchterung bis zu psychischer und physischer Folter, auf dass sich die Schere in den Köpfen festsetze. Der Film deutet diese Dauerherrschaft des Schreckens nur an, doch das reicht vollauf. Man kommt aus dem Kino und möchte schon aus prinzipiellen Gründen sofort die nächste Buchhandlung ansteuern.
Andreas FurlerGalerieo





