Everybody Loves Touda
Nabil Ayouch, Marokko, Belgien, Frankreich, 2024o
Touda träumt davon, eine Cheikha zu werden, eine traditionelle marokkanische Künstlerin, die ohne Scham und Zensur Texte über Widerstand, Liebe und Emanzipation singt, die seit Generationen überliefert werden. Touda tritt jeden Abend in den Bars ihrer kleinen Provinzstadt vor den Augen der Männer auf und hofft auf eine bessere Zukunft für sich und ihren Sohn. Misshandelt und gedemütigt beschließt sie, alles hinter sich zu lassen und in das glitzernde Casablanca zu ziehen.
Nach dem Drama Much Loved (2015), das in Marokko wegen seines unverblümten Blicks auf die Prostitution kontrovers diskutiert wurde, setzt der französisch-marokkanische Filmemacher Nabil Ayouch sein eminent politisches Werk mit diesem Porträt einer Frau fort, die vom Hinterland nach Casablanca geht, um Sängerin zu werden. Touda, alleinerziehende Mutter eines taubstummen Jungen, von ihrem Mann getrennt und «Sexfreundin» eines Polizisten, beschliesst nach einer Vergewaltigung, ihren Traum zu verwirklichen. Doch in der Grossstadt wartet niemand auf sie, und Jobs als Bar- oder Hochzeits-Sängerin stillen nicht ihren Ehrgeiz, eine ernsthafte Künstlerin zu werden, die die «Aïtas» ihres Landes interpretiert, die traditionellen Lieder der freien Frauen von einst. Zweifellos aus Zensurgründen strapaziert diese Erzählung mit ihren Auslassungen bisweilen die Fantasie des Publikums. Aber wie immer bei Nabil Ayouch ist die Aussage klar und ihre Umsetzung kraftvoll. Hinter dem ironischen Titel (tatsächlich mag ausser ihrem Sohn niemand Touda) verbirgt sich eine Anklage gegen eine regelrechte «Vergewaltigungskultur» in einer Machogesellschaft, die alles tut, um die Heldin auf eine Schlagersängerin mit harmlosen Texten über enttäuschte Liebe und eine Abschlepperin von Männern zu reduzieren. Zugegeben, Nabil Ayouchs Kunst ist nicht so feinfühlig wie die seiner Frau Maryam Touzani (Le bleu du caftan), die hier als Co-Autorin mitwirkt. Aber er trifft den Nagel auf den Kopf, wenn er die allgegenwärtige Heuchelei in Szenen wie jener anprangert, in der Toudas Gesang in ihrem Zimmer den Ruf des Muezzins überlagert.
Norbert Creutz