Friedas Fall
Maria Brendle, Schweiz, 2024o
1904 steht in St. Gallen die 25-jährige Näherin Frieda vor Gericht. Ihr wird vorgeworfen, ihr uneheliches Kind getötet zu haben. Doch stimmt das auch wirklich? Und wie viel Opfer steckt in der mutmasslichen Täterin? Der Fall ruft Anwälte, Presse und Zivilgesellschaft auf den Plan, die sich darüber streiten, wie viele Rechte einer Frau überhaupt zustehen.
So viel steht fest: Der Kriminalfall Frieda Keller leuchtet in menschliche und soziale Abgründe, die niemanden kalt lassen dürften. Die 25jährige St. Galler Näherin wurde im Juni 1904 verhaftet, nachdem ihr fünfjähriger Sohn in einem nahen Wald erdrosselt und notdürftig verscharrt aufgefunden worden war. Frieda gestand sofort, die Untersuchung zeigte, dass der Vater des Kindes Friedas einstiger Arbeitgeber und Vergewaltiger war, dass die ledige Mutter ihr «schändliches» Kind in kostpflichtige Verwahrung gegeben hatte und auf Druck der Anstalt schliesslich zu sich nehmen musste. Friedas Geldnot und soziale Ächtung trieben sie zum Äussersten. Der Staatsanwalt forderte ihre Hinrichtung, der fortschrittliche Verteidiger plädierte auf Unzurechnungsfähigkeit, endlich fand der St. Galler Grossrat einen Kompromiss, der nicht weniger unmenschlich war. Das Problem bei der Verfilmung eine derartigen Falls: Wie seine Schrecknisse zeigen? Und vor allem: Wie durchfinden zu den extremen Emotionen, die er schürte und schürt? Der Nachwuchsregisseurin Maria Brendle (Ala Kachuu) gelingt dies teilweise. Die Tat selbst hüllt sie in eine anfänglich irreführende ländliche Idylle (Mutter und Kind unbeschwert schlendernd durch Wiesen), die vollends unbegreiflich wird, wenn sich die beiden geradezu frohgemut an das spätere Grab des Buben machen. Auch die inhaftierte Frieda, verkörpert von der talentierten Debütantin Julia Buchmann, wirkt in der Untersuchungshaft seltsam gefasst, die freundschaftliche Beziehung, die sich dort zur Frau des Staatsanwalts (Rachel Braunschweig) entwickelt, wie ein historisch wenig glaubhafter Triumph weiblicher Solidarität über die Klassenschranken hinweg. Die durchs Band solide Besetzung und Schlaglichter auf die gesellschaftlichen Dimensionen machen die Schwächen und einen Hang zu grossspuriger Hollywood-Ästhetik ein Stück weit wett. Und eben der Sog des Falls selbst: Bei allen Vorbehalten gegen seine ästhetische Aufarbeitung kann man sich ihm kaum entziehen.
Andreas Furler