Midnight in Paris
Woody Allen, USA, Spanien, Frankreich, 2011o
Für Gil geht ein Traum in Erfüllung als er mit seiner Verlobten Inez nach Paris reist. Als aufstrebender Drehbuchautor schwärmt er für die dortige Künstlerszene der 1920er Jahre. Eines Nachts sieht sich der junge Mann unversehens mitten in jene goldene Zeit und Sphäre zurückversetzt, in der sich Scott Fitzgerald, Ernest Hemingway und Gertrude Stein die Klinke in die Hand gaben und geistreiche Gespräche führten. Das wundersame Ereignis wiederholt sich stets um Mitternacht, bringt aber auch einige Differenzen des Paars an den Tag.
Nach allerhand flauen Komödien glückt Woody Allen diesmal eine luftige kunsthistorische Fopperei: Reizvoll an der Komödie ist die Frage, wer wohl als Nächstes auftaucht. Marion Cotillard huscht als erotische Fantasie herum, doch imponiert vor allem Owen Wilson als verletzlicher Möchtegern Gil. Verwundert erkennt er, dass in der parallelen Traumwelt alle noch nostalgischer sind als er selbst. Dafür setzt er, sowie er in die Wirklichkeit zurückkommt, sein Primärwissen ein, um sich an den blasierten Freunden zu rächen
Pascal BlumWoody Allens neue Komödie - sein 42. Spielfilm und bislang größter Kassenerfolg in den USA - tagträumt die herrlichste Wunschphantasie. Mit Witz, Eleganz und, ähnlich wie bei "Purple Rose of Cairo", mit der erstaunlichsten Selbstverständlichkeit entwirft Allen sein künstlerisches Wunschweltszenario. (Auszug)
Rainer GanseraChaque immersion dans le passé est une bouffée d'idéal, tout redevient sexy, affolant, fragile. Ce n'est pas simplement Paris qui est une fête, mais ce temps-là que le cinéaste ressuscite dans son innocence. Allen réussit quelque chose de troublant qu'il est même assez difficile de décrire : c'est en allant au bout de tous les clichés qu'il atteint leur puissance d'actualité vibrante.
Philippe Azoury et Didier PéronWoody Allen fait voyager ses personnages dans la capitale des années 1920 en assumant avec brio les clichés. L'inaccessible âge d'or que le cinéaste poursuit dans Minuit à Paris lui est enfin acquis.
Jacques MandelbaumGalerieo
«Midnight in Paris» von Woody Allen ist eine zauberhafte Hommage an Paris und seine Boheme.
Was für ein schöner Film! Der reinste Kindergeburtstag, mit einer riesigen Torte, und daraus hervor springen: F. Scott Fitzgerald und seine verrückte, scharfsinnige Gattin Zelda, der markige Machodichter Ernest Hemingway, Gertrude Stein, diese robuste Urmutter der lyrischen Avantgarde, Salvador Dalí, Picasso und und und . . . Die Torte heisst Paris, und das Kind, das sie sich zu seinem 75. Geburtstag leistete, heisst Woody Allen, und das Ganze ist ein total charmanter Traum. Und nein, es stört auch nicht, dass Carla Bruni noch ein wenig in diesem Traum herumtapst, sie ist gewissermassen der Schluck Tee, den man ein-, zweimal braucht, um so viel Champagner überhaupt ertragen zu können.
Barcelona, London, Paris
Mit «Midnight in Paris», so sagte Woody Allen im Frühling in Cannes, habe er eine Vision verwirklicht. Sein Ziel sei gewesen, seine ganz eigene Vorstellung von Paris und von der Liebe und der Liebe zur Kunst in Paris wahr werden zu lassen, ohne Rücksicht auf irgendwelche Realitäten. So, wie er in «Vicky Cristina Barcelona» (2008) schon sein Barcelona und seine Vision der Leidenschaft in Spanien verwirklicht hatte und in «Match Point» (2005) sein London und seine Vision von der Unbarmherzigkeit der britischen Klassengesellschaft. Wenn Woody Allen an Europa denkt, dann hat er eine Idée fixe, und die ist, so beweist sein verblüffendes Alterswerk, viel genauer und origineller, als wenn er in den altvertrauten Neurosen seiner New Yorker Intellektuellenszene gründelt.
So ist denn «Midnight in Paris» - ob den unzähligen Geburtagsüberraschungen kommt man aus dem blöd grinsenden Staunen wirklich kaum heraus - die runde Geschichte eines Mannes, der selbst keine runden Geschichten mehr schreiben mag. Gil (Owen Wilson) heisst er und ist erfolgreicher Drehbuchautor oberflächlicher Hollywoodhits, so erfolgreich, dass er keine Zeit mehr hat für seine Berufung, nämlich die wahre und ernste Schriftstellerei; aber auch so erfolgreich, dass er eine zutiefst blonde, zutiefst pragmatische Verlobte namens Inez (Rachel McAdams) hat, so eine amerikanische Vorzeigefrau, die sich sicher ist, dass der Mensch von Sehnsüchten allein nicht leben kann.
Und jetzt sind die beiden also in Gils grosser Sehnsuchtsstadt Paris, und Gil hat seine äusserst eigenwillige Vorstellung von Paris, nämlich, dass die Stadt bei Regen und bei Nacht und zu Fuss am schönsten sei. Logisch, dass er die alleine verwirklichen muss. Und wie schön, dass die Vergegenwärtigung seiner Sehnsüchte noch viel weiter geht, als er sich das ausgemalt hat, nämlich mitten hinein in eine Traumwelt.
Carla Bruni im Museum
Denn Schlag zwölf wird Gil dem Aschenbrödel gleich von einer Limousine abgeholt und entführt ins Paris der 20er-Jahre, hin zur internationalen Boheme aus Amerikanern, Spaniern und Franzosen, mitten hinein in eine Szenerie revolutionärer Geistesgiganten. Elfengleich schmiegt sich da Adriana (Marion Cotillard), die Muse der grössten Männer, an Gil. Gertrude Stein (Kathy Bates, was für eine geniale Besetzungsidee) liebt sein Romanmanuskript, und die sprunghafte Zelda Fitzgerald (Alison Pill) ist genau so, wie er sie sich immer vorgestellt hat. Am Klavier sitzt derweil, wie könnte es anders sein, Cole Porter.
Während Gil in seiner nächtlichen Parallelwelt auflebt und sich ganz seinen Träumen gemäss verwirklicht, wird seine Realität daneben langsam so grau wie das T-Shirt der Museumsführerin (Carla Bruni), die so gut Bescheid weiss über das alte und das uralte Paris. Seine blonde Amerikanerin vermag der dunkelhaarigen Französin Adriana, deren eigene Sehnsüchte noch viel weiter zurückreichen als in die 20er-Jahre, nämlich in die Belle Epoque, bald nicht mehr standzuhalten.
«The present is always dull», die Gegenwart ist immer langweilig, ist die Erkenntnis von Gil und Adriana, und jeder kultivierte Mensch sehnt sich in ein anderes Golden Age zurück, das wiederum mit sich selbst unzufrieden ist. Vielleicht hat ja Inez’ lästiger Angeberfreund Paul, der alles besser weiss, doch recht, wenn er sagt: «Nostalgia is complete denial», Nostalgie ist die totale Verweigerung. Aber woher, wenn nicht aus der Nostalgie, soll denn Gil, soll Woody Allen zehren für die Vision von Schönheit und Erhabenheit? Wie soll Kunst ohne die Sehnsucht nach einer besseren Welt überhaupt möglich sein? Und an wem soll sich ein Künstler messen, wenn nicht an seinen Idolen?
Das ist natürlich eine auf amerikanische Art schwärmerisch ungebrochene und schlichte Annäherung an ein grosses Thema. Doch gerade in dieser entwaffnenden Einfachheit passt sie zu Woody Allens gewohnter Erzählweise, dieser unprätentiösen und beiläufigen Alltagssprachlichkeit, und zur Person des Hauptdarstellers selbst. Zu Owen Wilson also, diesem Mann, der sich seine Millionen als komische Nase in Jackie-Chan-Filmen, als Spasskanone in «Wedding Crashers», «Zoolander» oder «Night at the Museum» oder doof-romantisch an der Seite von Jennifer Aniston in «Marley & Me» verdient und der doch weit mehr kann.
Kommerzheini mit Herz
Denn Owen Wilson studierte einst zusammen mit dem Regisseur Wes Anderson Literatur, er arbeitete an drei Drehbüchern zu Andersons Filmen mit, und die beiden wurden gemeinsam in der Kategorie bestes Drehbuch für einen Oscar nominiert - nämlich für «The Royal Tenenbaums», diesen verrückt verstörten Familienfilm, in dem sich Owen Wilson eine Rolle als suizidgefährdeter Schriftsteller auf den Leib geschrieben hatte. Als Wilson im August 2007 nach der (ersten) Trennung von der Schauspielerin Kate Hudson versuchte, sich das Leben zu nehmen, zementierte dies das Bild des komischen Kommerzheinis, der innen drin ganz schlicht und eigentlich ein tragischer, romantischer Held ist. Wenn Owen Wilson einen besonders selbstbewussten Tag hat, dann bezeichnet er sich als «Schauspieler und Schriftsteller». Seine Lieblingskünstler sind Fitzgerald, Picasso, Dalí. Wer also hätte besser in die Rolle des Gil gepasst als er?
Glücklich verzaubert
Sie hätten in Paris nicht nur gedreht, sie hätten zusammengelebt, sagte Woody Allen in Cannes. Und Owen Wilson doppelte in einem Radiointerview nach, dass ihnen unter der Führung von Carla Bruni und der entzückenden Marion Cotillard die Häuser und Herzen der Pariser weit offen gestanden hätten. Und so muss man sich Woody und Owen und all die anderen während der Dreharbeiten zu «Midnight in Paris», dieser «féerie», wie die Franzosen sagen, genau so vorstellen wie Gil nach Mitternacht: als glücklich verzauberte Amerikaner.